Projekat Rastko - Luzica / Project Rastko - Lusatia  

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M. Walde

Sorbische Jahresbräuche

In der sorbischen Lausitz ist ein reges Brauchleben anzutreffen. Das Bedürfnis nach festlichen Anlässen ist allgemein ausgeprägt. Das hat vielerlei Gründe. Am Ende des Mittelalters entwickelte sich im damals ethnisch relativ geschlossenen Gebiet der Lausitz die sorbische Sprache und Volkskultur in organischer Verbindung zum ländlichen Wirtschaftsleben und zur davon geprägten Dorfgemeinschaft. Im Prozess des nationalen Erwachens der slawischen Völker und angesichts der zunehmenden Existenzbedrohung der Sorben sahen viele sorbische Intellektuelle im ethnischen Traditionalismus und Konservatismus die einzige Alternative. Alles, was man als überlieferte sorbische Lebensart verstand – in der Hauptsache aber Trachten und Bräuche –, sollte erhalten, gefestigt und sogar reaktiviert werden. Die sozio-ökonomischen und ethnischen Verhältnisse im Feudalismus hatten dazu geführt, dass die Sorben, zumindest in ihrem Kerngebiet, einen relativ geschlossenen Zusammenhang bildeten – eine Situation, die noch in der zweiten Hälfte des l9. Jahrhunderts und den folgenden Jahrzehnten ihren kulturellen Einfluss ausübte. Das führte zu einem gewissen sorbischen Gruppenverhalten, das sich abermals traditionsfördernd auswirkte.

Nachdem sich bürgerliche Verhältnisse auf dem Lande durchgesetzt hatten, wurden die sorbischen Kulturtraditionen von Geistlichen und Lehrern, von Bauern, Halbbauern oder Dorfhandwerkern gemäß den neuen Verhältnissen weitergepflegt. Und ungeachtet fortschreitender sozialer Differenzierung blieb die bäuerliche Familie mit Gesinde und Hausgenossen in ihrer Arbeits-, Wohn- und Tischgemeinschaft und mit ihren engen Bindungen an die Nachbarschaft bis ins 20. Jahrhundert hinein ein bedeutsamer Träger ethnischer Kultur.

Die Bräuche unterliegen heute enormen funktionalen und formalen Veränderungen. Ihre eher traditionellen Ausprägungen bewahren dagegen religiöse Bräuche, die vor allem aus der katholischen Tradition herrühren – wie das Osterreiten, Fronleichnam, Wallfahrten oder bestimmte Familienbräuche. Das heißt, dass besonders die (katholische) Kirche großen traditionsfördernden Einfluss ausübte und noch ausübt. Die fraglos stärkste Macht zur Alltagsregulierung hatten bei den Sorben stets die christlichen Kirchen. Aufgrund ihrer hohen gesellschaftlichen Wertschätzung und politischen Autorität konnten sie zahllose kultische Aktionen in Gang setzen. Doch auch innerhalb des kirchlichen Raums sind Auflösungserscheinungen nicht zu übersehen – zum Beispiel hinsichtlich der Familienbräuche (Taufe, Firmung oder Konfirmation, Hochzeit) –, was nicht zuletzt mit der zunehmenden wirtschaftlichen Selbständigkeit der jungen Generation zusammenhängt. So hängt die Pflege von Familienbräuchen mehr und mehr von der persönlichen Einstellung der Beteiligten und ihrer ethnischen Identität ab.

Die Jahresbräuche der Sorben gruppierten sich seit dem ausgehenden Mittelalter um die kirchlichen Hauptfeste: Weihnachten, Ostern oder Pfingsten. Durch den Einfluss der Kirche hatten ehemals heidnische Bräuche meist eine Umformung im christlichen Sinne erfahren. Nach der Reformation haben die evangelischen Sorben viel christliches Brauchtum allmählich aufgegeben. Dagegen haben die katholischen Sorben zahlreiche – meist kirchliche – Traditionen bewahrt, wie die Weihe von Wasser, Kerzen, Palmen, Kräutern oder das Spenden des Blasiussegens, das Bekreuzen mit Asche am Aschermittwoch, die Karfreitagsklappern, die Osterkerze, die Fronleichnamsprozession, die Wallfahrten oder das Osterreiten.

Bedingt durch unterschiedliche historisch-geographische, konfessionelle, administrative und wirtschaftliche Entwicklungen haben sich in den einzelnen Regionen der Ober- und Niederlausitz auch unterschiedliche Akzente in der traditionellen Kultur herauskristallisiert, was sich – in volkskundlicher Sicht – nicht nur bei den Bräuchen, sondern auch bei den Trachten, der Bau- und Wohnweise oder den Dialekten niederschlug.

In der Niederlausitz zeigen sich heute stellenweise Bräuche, die das Spielerische und Gesellige betonen, wie z. B. Zampern (eine Form der Fastnacht), Osterwasserholen, Osterfeuer oder Hahnrupfen. Besonders beliebt ist hier die Fastnacht. Sie besteht aus dem so genannten Zapust und dem Zampern. Das Zampern ist ein traditioneller Heischegang als Narrenumzug von Haus zu Haus. Die Beteiligung am Zampern hat sich in den letzten Jahren sogar erweitert. Außer der Dorfjugend zampern heute auch verheiratete Männer, Frauen, verschiedenenorts Kinder in eigenständigen Gruppen. Der Zapust dagegen ist ein feierlicher Festumzug der Jugend in sorbischen Trachten. Er gilt als eine Art Huldigungszeremonie, denn es werden angesehene Persönlichkeiten des Dorfes besucht – wie Dorfhandwerker, Bürgermeister, Lehrer oder Pfarrer. Von den jeweils Besuchten erhält die Zapust-Gesellschaft Lebensmittel, Schnaps oder Geldspenden, woraufhin die Spender zum abendlichen Tanz in die Dorfgaststätte geladen werden. Beide Umzüge – Zampern und Zapust – finden an unterschiedlichen (Sonn-)Tagen statt.

Weitere Bräuche in der Niederlausitz ranken sich um die Osterzeit. In der gesamten Region werden in der Osternacht Osterfeuer abgebrannt. Um dieses Ereignis herum wird viel Schabernack getrieben. Das bei den Sorben generell beliebte Verzieren von Ostereiern findet heute nicht mehr nur im Kreis der Familie statt; es beschäftigt mittlerweile Kindergärten, Schulen und viele Volkskunstbegeisterte. Jährlich findet eine offizielle Prämierung der schönsten Ostereier statt. Das so genannte Waleien wird nur noch sehr vereinzelt in der Öffentlichkeit praktiziert. Dabei lassen die jeweiligen Spieler nacheinander ein gekochtes, oft auch ein bemaltes Ei eine künstlich angelegte Bahn hinabrollen. Als geschlagen gilt das Ei, das von einem später hinabgerollten getroffen wird.

Das Ostersingen ist bereits in den 50er Jahren des 20. Jahrhunderts verstummt. Dabei zogen Mädchen aus der Spinte vor Ostern und vor allem in der Osternacht von Haus zu Haus und sangen Kirchenlieder. In einigen Dörfern pflegte man diese Tradition in der jeweiligen regionalen Variante noch bis in die 80er Jahre, im Kirchspiel Schleife hatten Erneuerungsversuche Erfolg: es bildeten sich die „Slepjanske kantorki“.

Das Johannisreiten wird in der Niederlausitz nur noch in einem Dorf (Casel bei Cottbus) veranstaltet. Ein junger Bursche reitet mit Blumen behangen durchs Dorf. An einer bestimmten Stelle erwartet ihn die versammelte Dorfgemeinde, um ihn anzuhalten und die Blumen zu rauben, die Segen bringen sollen. Nächtliche Johannisfeiern mit Tanz und Heischegang sowie Umzüge mit Blumen, Kränzen und Gesang wurden wegen behördlicher Verbote – auch auf Wunsch der Kirche – schon im vorigen Jahrhundert aufgegeben. Relativ großer Beliebtheit erfreuen sich heute in der Niederlausitz – etwa in 10 Dörfern – das Stollen- oder Stoppelreiten und das Hahnschlagen. Die Reiterspiele sind an keine festen Termine gebunden, sondern können den ganzen Sommer hindurch stattfinden.

In der Oberlausitz existieren einige andere Jahresbräuche. Zur so genannten Vogelhochzeit am 25. Januar werden Kinder von ihren Eltern mit Süßigkeiten beschenkt. Dazu stellen die Kinder Teller vor die Haustür oder ans Fenster. Aus diesem originellen Brauch hat sich eine populäre Veranstaltungsform mit einem Art Estradenprogramm mit anschließendem Tanz für Erwachsene entwickelt. Seit etwa 20 Jahren findet diese Veranstaltung – natürlich in veränderter Form – auch für Kinder in Kindergärten und Schulen ihre Entsprechung.

Besondere Erwähnung verdient das Osterreiten im katholischen Gebiet der Oberlausitz. Dieser Brauch hat sich zu einem ernsten, feierlichen und würdevollen religiösen Ritual entwickelt. In den acht katholischen Pfarrgemeinden werden festlich gekleideten Osterreitern auf geschmückten Pferden am Ostersonntag vom Pfarrer Kirchenfahnen und ein Altarkreuz übergeben. Unter dem Läuten der Glocken reitet die Prozession paarweise um die Kirche und dann in die benachbarte Pfarrgemeinde, um ihr die Osterbotschaft zu überbringen. Von dort setzt sich ebenfalls eine Reiterprozession in Bewegung, die zum Mittagessen oder Kaffee sowie einer Andacht erwartet wird. Das Osterreiten hat gerade während der 70er und 80er Jahre des 20. Jahrhunderts einen beachtlichen Aufschwung genommen. Heute sind in der sorbischen katholischen Lausitz etwa 1600 Reiter beteiligt.

Zu Walpurgis (30. April) lodern in der gesamten Oberlausitz – wie in der Niederlausitz zu Ostern – die Feuer. Zuvor wird jedoch der Maibaum aufgestellt. Einige Wochen danach findet das Maibaumwerfen statt. Die Intensität des Maibaumwerfens hat allerdings nachgelassen.

In der Weihnachtszeit geht das Christkind in der mittleren Lausitz noch von Haus zu Haus. Obwohl sich die Traditionen sehr ähneln, gibt es regional verschiedene Ausformungen, auch die Bezeichnungen sind unterschiedlich (wie DŸìæetko, Bože dŸìæo oder Borborka). Gekleidet wird das Kind in der Tracht der entsprechenden Region.

Stellenwert und Funktion der Bräuche haben sich mit Zeit der natürlich gewandelt. Festtraditionen mit hohem Geselligkeitswert – wie Maibaumwerfen oder Reiterspiele – sind heute in Gefahr, sich aufzulösen, wobei der Zapust eine Ausnahme bildet. Dagegen erfreuen sich Brauchhandlungen mit bestimmtem Schauwert oder gewisser Symbolfunktion – wie Osterfeuer, Hexenbrennen oder Osterreiten – einer Konjunktur. Das Bedürfnis der Bevölkerung nach festlichen Anlässen ist heute viel höher als die Bereitschaft der Brauchträger, die entsprechenden Handlungen vorzunehmen.

 


 

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