Nikola Madžirov

Poesie

Schatten gehen an uns vorüber

(СЕНКИТЕ НÈ ОДМИНУВААТ)

Eines Tages werden wir uns begegnen,
wie ein Papierschiffchen und eine
im Fluß kühlende Melone.
Die Bangigkeit der Welt wird
mit uns sein. Mit den Händen
werden wir die Sonne verdunkeln und
mit Lampen aufeinander zugehen.

Eines Tages wird der Wind
nicht die Richtung ändern.
Die Birke wird ihr Laub aussenden
in unsere Schuhe vor der Schwelle.
Wölfe werden sich auf die Spur
unserer Unschuld machen.
Schmetterlinge werden ihren Staub
auf unseren Wangen hinterlassen.

Im Wartezimmer wird eine alte Frau
jeden Morgen Geschichten über uns erzählen.
Auch was ich hier sage, wurde bereits
gesagt: wir warten auf den Wind
wie zwei Fahnen an einem Grenzübergang.

Eines Tages müssen alle Schatten
                                                an uns vorüber.

Aus dem Mazedonischen von
Klaus Detlef Olof

Wenn jemand weggeht,

kehrt alles Geschaffene zurück

(КОГА НЕКОЈ ЗАМИНУВА
СÈ ШТО Е СОЗДАДЕНО СЕ ВРАЌА)

                                                Für Marjan K.

An der Umarmung hinter der Ecke erkennst du
daß jemand irgendwohin weggeht. So ist es immer.
Wir leben zwischen zwei Wahrheiten
wie die Neonleuchte, die im leeren Flur
pendelt. Mein Herz sammelt immer mehr
Menschen, seit es sie nicht mehr gibt.
So ist es immer. Ein Viertel unseres Wachseins
verbringen wir mit Blinzeln. Wir vergessen
Dinge, noch bevor wir sie verlieren –
das Schönschreibheft zum Beispiel.
Nichts ist neu. Der Sitz im Autobus
ist immer warm. Letzte Worte werden
weitergereicht wie schräge Eimer
bei einem gewöhnlichen Sommerbrand.
Morgen wird sich dasselbe wiederholen –
das Gesicht wird, bevor es vom Foto verschwindet,
zuerst die Falten verlieren. Wenn jemand
weggeht, kehrt alles Geschaffene zurück.

Aus dem Mazedonischen von
Klaus Detlef Olof

Das Fliegen

(ЛЕТАЊЕ)

Der Nebel hängt über der Stadt
wie der geneigte Kopf der Muttergottes
von einem fernen Fresko.

Die Satellitenschüsseln sprechen
mit den Engeln,
wie morgen das Wetter sein wird:
klar, sicher, bedeutungsvoll
wie ein Kalender
mit roten Tagen.

Aber kaum verschmilzt die Nacht
die Schatten mit der Wand,
huschst du heraus zu den Zweigen
wie ein seltener Vogel
von der Rückseite eines Geldscheins.

Aus dem Mazedonischen von
Klaus Detlef Olof

Vieles ist passiert

(МНОГУ НЕШТА СЕ СЛУЧИЈА)

Vieles ist passiert
seit die Erde sich auf
Gottes Finger dreht.

Drähte haben sich
von den Fernleitungen befreit
und knüpfen jetzt Liebesbande.
Tropfen aus dem Ozean
lagern sich ungeduldig
an Höhlenwänden ab.
Blumen haben sich von den
Mineralien getrennt und gehen
dem Duft nach.

Aus der Hosentasche fliegen
Papierfetzen durch unser luftiges Zimmer:
Unwichtige Dinge, die wir nie
täten, wären sie nicht für uns
aufgeschrieben.


Aus dem Mazedonischen von
Klaus Detlef Olof

Neue Länder

(НОВИ ЗЕМЈИ)

Die Wand muß abgerieben werden,
auf der die Feuchtigkeit die Karte
der neuen Welt gezeichnet hat,
und es müssen neue Reiserouten eingetragen werden.

Unter ihnen müssen die Steine
unregelmäßig angeordnet werden wie
Fußspuren eines Menschen, der vor seinen Ängsten flieht.

Man muß ein
runder Spiegel in einer halboffenen Handfläche sein,
damit die fremden Umarmungen abgebildet werden,
scharf wie Scheren, die sich nur dann berühren,
wenn etwas zerschnitten werden muß.

Man muß neue Länder erfinden,
damit man wieder über das Wasser gehen kann.

Aus dem Mazedonischen von
alexander sitzmann

 

Tage, an denen man allein sein sollte

(ДЕНОВИ КОГА ТРЕБА ДА СЕ БИДЕ САМ)

Es ist wahr, daß die Stadt
als Folge einer Lüge entstand
notwendig für die Menschen
die Blumentöpfe und die Haustiere.

(so versorge ich mich mit
den nötigen Rechtfertigungen)

Es ist wahr, daß alle Menschen
die Gebäude verlassen
(wie bei einem Erdbeben)
und mit einer Vase in Händen
zu den Wiesen gehen.

Sie kommen dreimal trauriger zurück
mit Staub in den Handflächen
und einigen Geräuschen
wie Löcher in der Erinnerung.

Danach
wieder allgemeine Stille.

Aus dem Mazedonischen von
alexander sitzmann

На Растку објављено: 2008-01-27
Датум последње измене: 2008-02-01 19:14:10
 

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