Henning Mittendorf
Signalismus: Das Verhältnis von Wissenschaft und Kunst
1 Ausgangspunkt
Am Signalismus begeistert mich zunächst sein Bezug zur Wissenschaft, zur Geistes- und Naturwissenschaft.
Unter den Geisteswissenschaften steht die Philosophie an erster Stelle. Gemeint ist sein Bestreben, vorurteilsfrei zu verstehen und darüber aufzuklären, was die Menschen tun und die ihrem Verhalten zugrunde liegenden Betrachtungsweisen, Denkschemata und Problemlösungsmodelle, Paradigmen, zu überprüfen.
Mit Hilfe der aktuellen Erkenntnisse der Naturwissenschaften versucht er ein komplexes Wirklichkeitsmodell zu entwerfen, in das auch der Künstler und seine Aufgabe samt seinen Verhaltensweisen sowie Medien integriert ist. Es geht ihm nicht um Kunst um der Kunst willen, sondern um Kunst im Rahmen der Wissenschaft.
Bei seinen Grundsatzforschungen nimmt der Signalismus im Lichte neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse wahr, dass seit einigen Jahren versucht wird, das Denken über sich und seine unbewussten Wurzeln aufzuklären sowie von althergebrachten, starren und überholten Vorstellungen, Vorurteilen und Ideologien zu befreien und Akzeptanz für neu erlangtes Wissen und Wirklichkeitsmodelle zu schaffen, ja dass ein neuer Paradigmenwandel stattfindet, der neuartige Modelle für Problemlösungsverfahren liefert, einschließlich solche künstlerischer Art.
Auch mich hat meine künstlerische Tätigkeit unabhängig vom Signalismus zu vergleichbaren Überlegungen geführt. Für mich sind wie beim Signalismus die neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse, der neue Paradigmenwandel, Ausgangspukt für das künstlerische Tun. Dabei komme ich zu Aussagen, die letztlich mehr oder weniger mit denen des Signalismus übereinstimmen. Sofern meine Überlegungen über die des Signalismus hinausgehen, dienen sie als Anregung und Ergänzungsvorschlag.
Meine Überlegungen zum Verhältnis von Wissenschaft und Kunst lassen sich unter folgenden drei wesentlichen Aspekten zusammenfassen:
- Die Frage nach dem Wissen der Menschen über die Welt wird zu der nach ihrem
Wissen vom Wissen.
- Das neue Wissen vom Wissen macht die Menschen verantwortlich.
- Das neue Wissen vom Wissen verändert auch die Rolle der Künstler.
2 Die Frage nach dem Wissen der Menschen über die Welt wird zu der nach ihrem Wissen vom Wissen
Den Menschen ist wissenschaftlich gesehen die tatsächliche Weltwirklichkeit verschlossen, da es ihnen nicht möglich ist, aus ihrem neuronalen System herauszutreten. Um leben zu können konstruieren sie sich weltweit gemeinsam ihre – soziale – Wirklichkeit als lebensdienliches Beziehungsgefüge und dessen Existenzbedingungen, und zwar als Wahrnehmung von Gestalt durch Erschaffung von Gestalt. Hierbei verwenden sie ihre Kognitionen, d.h. ihre unbewussten sowie bewussten Erfahrungen, und ihre Partizipation, d.h. ihre Kommunikation sowie Interaktion, ihre wechselseitige sprachliche und nichtsprachliche Teilhabe. Sie setzen hierbei geeignete - unterbewusste und bewusste - Ordnungsmuster sowie Ordnungssysteme und Regulationsinstrumente, Medien, ein, wie Bilder und Texte Humberto Romesin Maturana entwickelt seine Modelle der Autopoiesie und des Radikalen Konstruktivismus und Niklas Luhmann die Systemtheorie.
Als Ergänzung zur ästhetisch-unbewussten Gestaltung bilden die Menschen ein „Bedürfnis nach höherem Sinn und Zweck“ aus und für dessen Befriedigung, die Fähigkeit, denkend einen umfassenderen tieferen Grund, Sinn, zu finden. Leszek Kolakowski stellt seine These über die Alltagsmythen bildenden Schicht der menschlichen Seele und ihre Sinn spendende Energie auf.
Im Bereich der Wissenschaft führt moderne Philosophie zu Konzepten der Beschreibung der „realen“ Welt. Danach ist:
- harter Kern der neuzeitlichen abendländischen Kultur: die Naturwissenschaft. „Der harte Kern meint nicht ihr höchstes Ziel, nicht ihr schönster Duft, nicht ihre süßeste Frucht, sondern ihr harter Kern, an dem man sich die Zähne ausbeißen kann. Es sind diejenigen Erkenntnisse, die am zweifellosesten sind, die man gewonnen hat, ob sie nun wichtig sind oder nicht; aber man kommt nicht an ihnen vorbei (Carl Friedrich von Weizsäcker).“
- harter Kern der neuzeitlichen Naturwissenschaft: die Physik. Sie hat sich durch die Atomphysik mit der Chemie zu einer Einheit verschmolzen, die auf den Bereich der Biologie und darüber hinaus ausgegriffen hat. Fazit: „Die physikalischen Gesetze sollen genügen, diese Dinge zu verstehen“, die Wirklichkeit zu verstehen (Reduktionismus).
- harter Kern der Physik etc.: die Quantentheorie. Sie führt nach Meinung der Physiker notwendigerweise zur These, dass es streng trennbare Objekte überhaupt nicht gibt. In Wirklichkeit hängt alles mit allem zusammen. „Die (Objekte) sind aber auch in Wirklichkeit gar nicht vom Rest der Welt getrennt, nur man kann sie hinreichend gut davon trennen, um darüber reden zu können. Das nennen heutige Interpreten der Quantentheorie gelegentlich den ‚Holismus’, die Ganzheitlichkeit dieser Theorie. Der Holismus ist die eigentliche Wahrheit, wenn die Quantentheorie wahr ist … Sie (die Quantentheorie) ist zugleich diejenige Theorie, die eine innere Vorschrift darüber hat, wie sie sich selbst korrigieren muss, indem sie diejenigen Trennbarkeiten, die man zunächst vorausgesetzt hat, überwindet, indem sie ein größeres Ganzes anschaut, das aber noch einmal trennbar vom Rest der Welt angesehen wird“ (Carl Friedrich von Weizsäcker).
Pierre Duhem verfasst als erster die Holismus-These, die später von Willard van Orman Quine präzisiert wird und seitdem auch den Namen Duhem-Quine-These trägt.
Philosophieren auf der Basis des heutigen neuen physikalischen Weltbildes führt unter anderem zur Eliminierung des Dualismus von Geist/Bewusstsein und Materie; sie lassen sich letztlich nicht trennen, bilden ein Ganzes.
Klaus Mainzer entwickelt ausgehend von der Selbstorganisation der Welt eine einheitliche Theorie der Natur, der Natur- und Geisteswissenschaften, in der Vielheit der aufeinander bezogenen Theorien und Sprachen, und zwar von der Physik über die Quantenchemie, Chemie, Biochemie, Biologie, Ökologie, Evolutionstheorie, Soziologie, Ökonomie bis hin zur Psychologie.
Thomas Samuel Kuhn entwirft eine Theorie der Entwicklung von Wissenschaften in einer ständigen Abfolge von Paradigmenwechseln.
Das heute im Rahmen des neuen Paradigmenwandels, und zwar der Systemtheorie, erarbeitete Problemlösungsmodell zeigt die Weltwirklichkeit nicht mehr als einseitig rational festgelegte Maschine, sondern als eine offene, indifferente, multidimensional-komplexe Selbstorganisation der Vielfalt der Phänomene. Je nach Blickwinkel lassen sich in dieser Einheit unterschiedliche Erfahrungen und deren selbstorganisierende Sub- und Teilsysteme ausmachen. Alle Systeme, vor allem auch das Gesamtsystem, bestimmen primär orientiert am Eigenen ihr Verhältnis zueinander und damit das Ganze, das sekundär auf sie zurückwirkt. Jedes System ist bestrebt, entsprechend den sich verändernden Notwendigkeiten, wie neue Lebensumstände, mit Hilfe der Doppelstrategie: Vielfalt und Reichtum in Einheit und Ausgleich, also Freiheit in Ordnung, pragmatisch Neues hervorzubringen, das Gangbare zu selektieren und sich in seiner Umwelt zu erhalten.
Die richtige Verwendung aller Medien, vor allem auch die der elektronischen Medien und Massenmedien, hat prinzipiell lebensdienlichen Charakter. Einerseits gibt es hinter sie kein Zurück mehr, andererseits geben sie aber nicht einseitig die Richtung für den nächsten Schritt der Entwicklung vor. Sie lassen vielmehr eine Vielfalt von Folgeschritten offen.
Die Menschen müssen sich, was ihr Verhalten betrifft, „nur“ für humane Teilhabe, menschliches Leben und Zusammenleben, entscheiden. Voraussetzung hierfür ist, dass sich die Menschen ihre Langsamkeit zu leben, ihre Langsamkeit des Seins, d.h. ihren sozialen Bereich der Verständigung, der Erinnerung und der Traditionen, der Geschichte, und zwar vor allem ihre Alltagswelt voller Unmittelbarkeit und Mündlichkeit, bewusst erhalten und pflegen, vor allem auch im Zeitalter der ultraschnellen Medien. Sie müssen Wirklichkeit frei und demokratisch als Mischwelt aus parasozialen Medienwelten und - vor allem - aus sozialem Zusammenleben konstruieren. Dann garantieren die wechselseitige zirkuläre Verständigung und Erinnerungskultur der Alltagswelt, dass die Menschen inmitten der schnellen Medien weiterhin langsam, d.h. menschengerecht, leben können.
Das Wesen der Selbstorganisation der Weltwirklichkeit offenbart sich in ihrem effektiven „magischen Lebensprinzip“ als offener kreativer gewaltarmer Ausgleichs- und Schöpfungsprozess, als schöpferisch-integrative Gestaltung der - prozessnotwendigen - Spannungen, d.h. als gewaltarme Ordnung, die man als „organische Friedensordnung“ mit „sozialen Imperativ“ zum Frieden bezeichnen könnte. Sie erschafft sich auf diese Weise ständig selbst und erhält allein hieraus, aus ihrem Gelingen, ihre Existenzberechtigung.
Da alle erlebten Phänomene, einschließlich die Menschen, letztlich nur unbestimmte labile pragmatische menschliche Konstrukte sind, kommt es für gangbares Zusammenleben nicht darauf an, „was“ sie sind, d.h. dass sie als widerspruchsfreie richtige Wirklichkeit erkannt werden, was – wie gesagt – nicht möglich ist, sondern „wie“ sie sich verhalten: dass sie gangbar miteinander auskommen. Der Blick der Menschen wechselt damit von den Objekten und Wahrheiten hin zu den Wechselwirkungen, Beziehungen, den Beziehungsgeflechten, und zwar vor allem zu den passenden Vermischungen und den Gangbarkeiten. Insbesondere das Wie des menschlichen Verhaltens erhält angesichts seiner Wirksamkeit große Bedeutung für die gemeinsame pragmatisch-dialektische Entwicklung einer gangbaren Weltwirklichkeit.
3 Die Verantwortung der Menschen
Alles Verhalten der Menschen beeinflusst wegen seiner großen Wirksamkeit letztlich – positiv oder negativ – die Weltwirklichkeit. Und seitdem der Mensch das globale Ökosystem, das weltweite Beziehungsgefüge der Lebewesen untereinander und mit ihrem Lebensraum, zur menschlich-technischen Weltordnung entwickelt hat, in der er einseitig dominiert, ist das magische Lebensprinzip gestört. Denn da er seine Eingriffe in das System sträflicherweise, d.h. systemwidrig, nicht mehr ganzheitlich abstimmt, stabilisiert es sich nicht mehr von selbst, ja die globalen menschenverursachten Katastrophenproduktionen bewirken systembezogen vielmehr eine selbstorganisierende selbstbeschleunigende Chaosspirale.
Die westliche Zivilisation hat die Wissensgesellschaft hervorgebracht, diese hat zur Reichen Gesellschaft geführt, und deren Folge ist die heutige Risikogesellschaft. Mit ihr wird inzwischen die Grenze für die Belastung der Natur, samt deren Tragfähigkeit, fast erreicht.
Philosophieren auf der Basis des neuen Weltbildes führt heute zu einer neuen Ethik. Denn Philosophie ist nicht nur der Versuch vorurteilsfrei zu verstehen, was man tut und sagt, sondern sie enthält auch die Ethik, d.h. die Forderung wie man handeln soll, wenn man die Zusammenhänge erkennt.
Angesichts der aktuellen Situation der Welt muss es oberstes Ziel menschlichen Verhaltens sein, verantwortlich zur Stabilisierung der Weltordnung beizutragen. In allen gesellschaftlichen Bereichen muss im Rahmen der prinzipiell offenen Entwicklung aufgrund von Wenn-dann-Entcheidungen nach neuen angemessenen Maßstäben für ethisches Verhalten, für Entwicklung in Verantwortung, gesucht werden. Alle Erfahrungen müssen hierfür herangezogen werden, insbesondere die unterschiedlichen Einschätzungen seitens der verschiedenen Wissenschaften, der unterschiedlichen sozialen Erfahrungs- und Wissensbereiche.
Die Ökologie als die wissenschaftliche Untersuchung der Ökosysteme, d.h. als die Wissenschaft von den wechselseitigen Beziehungen zwischen den Lebewesen und ihrer Umwelt, entwickelt sich von einem biologischen, über ein biologisch-technisches in ein natur- und sozialwissenschaftliche Teilgebiete umfassendes Wissensfeld, d.h. in das interdisziplinäre Wissenschaftsgebiet der Humanökologie, das für Basiswissen und dessen Beurteilung sowohl naturwissenschaftliche als auch geistes-, einschließlich sozialwissenschaftliche, Teilgebiete umfasst. Hans Jonas entwickelt die Konzeption einer philosophischen Biologie des Organischen und ist Vater der Humanökologie. Dabei aktualisiert er den kategorischen Imperativ von Immanuel Kant.
Politische Ökologie meint die gesellschaftspolitische Erörterung der Ergebnisse der Ökologie. Vor allem ist es die Erörterung der Hintergründe von Umweltfragen und von umweltpolitischen Ansätzen sowie sonstigen gesellschaftlichen Bereichen als Teil einer verantwortlichen Gestaltung der menschlichen technischen Weltordnung als Handlungsgemeinschaft von Kultur und Natur mit dem Ziel, den Fortbestand einer menschenwürdigen Existenz in einer funktionsfähigen und den Werten der Menschen entsprechenden Umwelt zu gewährleisten, d.h. die sogenannte sozialgerechte Nachhaltigkeit. Der Begriff politische Ökologie weist darauf hin, dass den Menschen hierzu nur der gesellschaftlich-politische Weg bleibt, weil sie die Evolution biogenetisch mit keiner Moral und Ethik ausgestattet hat. Entscheidend ist dabei vor allem die kognitive Wende zum eigentlichen Humanum, d.h. die Aufklärung der menschlichen Rationalität über sich selbst, und damit die Aufgabe ihrer Alleinherrschaft, vor allem in der Form des Ökonomismus. Dann werden der ganzheitliche Umgang mit der menschlichen Seele, einschließlich mit ihrer Irrationalität, und die Vision, der neue lebensdienliche Mythos, einer friedlichen menschlich-technischen Weltordnung ermöglicht, in der der ganzheitsorientierte Imperativ zur Koexistenz den egoistischen auf Dominanz gerichteten überlagert.
Fritjof Capra streitet für die holistische Weltsicht, die Koexistenz der Menschen mit dem sie umgebenden Ökosystem und befürwortet ein neues ökologisches Wirtschafts- und Wohlfahrtsverständnis. Er warnt vor den menschenverursachten Katastrophenproduktionen, insbesondere in den neuen Wissenschaftszweigen, und wendet sich gegen die uneingeschränkte Globalisierung auf der Basis eines Markt-Fundamentalismus. Für Carl Friedrich von Weizsäcker ist das Problem der Überwindung der Gefährdung der Umwelt ebenfalls eine zu beantwortende Schicksalsfrage für die menschliche Weltordnung. Hinzukommen für ihn noch die Problematik der Atomwaffen, das seines Erachtens größere Problem des Hungers im Süden und das seiner Meinung nach größte Problem der großen sozialen Ungleichheit zwischen Nord und Süd.
Wenn man diese Problemkreise anspricht, dann muss man immer die Welt als Einheit, global, sehen. Einseitig-egoistische Interessendurchsetzung ist verwerflich, sicher auch die rücksichtslose profitorientierte Herrschaft des Kapitals. Die Sicht des Einzelnen, einzelner Teilsysteme, ist vielmehr zurück an das Ganze zu binden, was aus meiner Sicht richtig verstandenen Globalismus im Sinne des neuen Denkens ergibt, d.h. weltweite Selbstorganisation im Rahmen der Handlungsgemeinschaft von Natur und menschlich-technischer Weltordung.
4 Die Rolle des Künstlers
Den Künstler zeichnet im Vergleich mit seinen Mitmenschen aus, dass er sich im gesellschaftlichen Diskurs mit seinen Medien auch dann noch ausdrücken kann, wenn seinen Mitmenschen bereits ihre Ausdrucksweisen versagen. Wenn Philosophie nach Hegel „ihre Zeit in Gedanken erfasst“, so lässt die Kunst ihre Zeit anschaulich werden.
Genau genommen ist jede künstlerische Gestalt zugleich als Einheit ein symmetrisches sowie als Gefüge des Gegensätzlichen ein komplementäres Konstrukt. Als letzteres ist sie zugleich ein ästhetisch-individuelles und ein ästhetisch-soziales Konstrukt. Sie ist zugleich subjektiv und intersubjektiv, einzigartig und vergleichbar, eigenwillig und abgestimmt, selbständig und abhängig.
Alle Kunst ist zugleich Kognitionskunst und Partizipationskunst, Teilhabekunst, d.h. Kunst subjektiver und intersubjektiver Erfahrungen, Vorstellungen sowie Ideen.
Das Wesen, das eigentlich Künstlerische, jeder künstlerischen Gestalt liegt in ihrer subjektiven Einzigartigkeit, d.h. wie sie ihre ästhetische Funktion, Aufgabe, erfüllt, soziale Wirklichkeit sinnlich-anschaulich auszudrücken.
Der Begriff Teilhabekunst leugnet zwar nicht, dass Kunst eine unverwechselbare individuelle Äußerungsform ist. Aber er weist darauf hin, dass sich künstlerische Arbeit nicht darin erschöpft. Sie präsentiert sich nicht mehr nur als etwas Abgeschlossenes, Endgültiges, unverwechselbar nur einem einzigen Urheber Zuschreibbares, sondern als ein gemeinsames plastisches prozesshaftes künstlerisches Verhalten, und zwar nicht nur von Künstlern, sondern von diesen und dem Publikum zusammen. Künstlerische Arbeit ist zwar gemacht, aber weniger als Ausdruck von Produktion im Sinne von Herrschaft sowie Unterwerfung, sondern mehr als Bekundung von Gemeinschaft und Teilhabe, von Teilen und Mitteilen, als Ursprung und Ziel.
Im Kunstwerk ist Ästhetik immer die unbewusste und Denken stets die bewusste bewertende Mitwahrnehmung des Anderen, Unfassbaren, Transzendenten in den Phänomenen. Denken charakterisiert den Menschen, kann aber die Spannung zwischen Ästhetik und Ethik prinzipiell nicht auflösen. Lediglich pragmatische Teilhabe hilft weiter.
Der Begriff der Teilhabekunst kehrt deshalb – wie bereits oben erwähnt – den bisherigen Weg, von der Kunst, der individuellen Kunstwahrheit, zur Ethik zu gelangen in Übereinstimmung mit dem neuen Paradigmenwandel tendenziell um und unterwirft die Kunst und Ästhetik den Regeln einer „Ethik im weitesten Sinne“, d.h. nicht denen einer sozialen Übereinkunft, Konvention, sondern denen der weiterführenden selbststabilisierenden Selbstorganisation der Weltwirklichkeit.
Denn da Kunst Teilhabe am Leben ist, deshalb muss sie mit dem Leben und nicht das Leben mit der Kunst in Einklang gebracht werden.
Die Teilhabekunst gewährt dem Künstler im Rahmen von Wenn-dann-Entscheidungen neue Gestaltungschancen. Alle ihre Konzepte sind Lebenskonzepte. Das heutige Streben der Künstler muss insoweit darauf abzielen, ein künstlerisches Konzept zu verwirklichen, das mit der Hilfe künstlerischer Mittel das Zusammenleben fördert. Vor allem müssen sie beispielhaft in ihrem Leben und Werk zeigen, wie neue Perspektiven gewonnen, damit widerstreitende Sichtweisen, Interessen, streitbar ausbalanciert und eine gangbare, d.h. lebensdienliche, soziale Wirklichkeitskonstruktion und Weltwirklichkeit geschaffen werden können, immer von neuem.
Das Kunstwerk wandelt sich zunehmend vom Kult eher statischer Produkte zu dem mehr schöpferisch-aktiver sich multidimensional pragmatisch entfaltender ausgedehnter, mehr oder weniger weit vernetzter, ereignishafter Prozesse, samt ihren Produkten, Konstrukten. Mit ihnen wird von den Künstlern beabsichtigt, vielfältige Perspektiven, d.h. Eigenes und Fremdes, künstlerisch zu einer gemeinsamen lebensdienlich-schöpferischen Aussage zu vereinigen. Verstärkt enthalten die Kunstwerke experimentell-kombinatorische Verfahren, wie die Collagen und die Gemeinschaftsprojekte. In diesem Rahmen entsteht als ein neuer Begriff weiterführender künstlerischer Arbeit der der Aktion. Er besagt, dass Konzept, Prozess und Produkt teilhabend verschmelzen und als Einheit zu sehen sind: sie eine experimentelle tendenziell spontane, d.h. weitgehend vom Intellekt nicht gesteuerte, und das Publikum sowie die Öffentlichkeit einbeziehende künstlerische Aktivität darstellen. Joseph Beuys entwickelt sein Konzept des „erweiterten Kunstbegriffs“ fort zu dem der „anthropologischen Kunst“ und darüber hinaus zu dem der „sozialen Plastik“, das auch schamanenhafte Aktionen als transzendente Teilhabe am Weltganzen umfasst. Er strebt die ökologische Sensibilisierung mit künstlerischen Mitteln an, d.h. mit Ökologischer Kunst sowie ökologischer Ästhetik. Robert Filliou ist Akteur der Fluxus-Bewegung und Erfinder des „Konzepts der andauernden Schöpfung“. Da das Wissen des Systems für den einzelnen Künstler zu groß ist, schlägt er vor „jeden einzelnen Künstler als Teil eines ewigen Netzwerkes zu betrachten".
Als eine besondere Strategie ist in diesem Zusammenhang auch das Netzwerk der Mail-Art zu nennen. Neu ist in ihm zweierlei:
- Es löst sich vom ökonomischen Kalkül, das im heutigen offiziellen Kunstbetrieb die radikale Popularisierung und Demokratisierung von Kunst untergräbt.
- Es lädt im Rahmen seines neuen besonderen medial-kommunikativen Konzepts alle kreativen Menschen ein, als Betroffene für Betroffene in ständiger wechselwirksamer vertrauenswürdiger Kommunikation die vielfäItigen künstlerischen alternativen Problemsichten zu vernetzen und so gemeinsam alternative und fiktionale Wirklichkeiten zu entwerfen und über das Mail-Art-Netz weltweit wirksam werden zu lassen.
Auf diese Weise entsteht der beispielhafte andauernde weltweite offene Diskurs und Perspektivenwechsel zwischen vertrauenswürdigen kreativen Menschen als Gleichen mit Hilfe künstlerischer Mittel unter Verwendung jedermann zugänglicher globaler technischer Netzwerke. Mit ihm entsteht pragmatisch eine exemplarische ganzheitsorientierte demokratische Gemeinschaft voller Gemeinschaftsschöpfungen, nachhaltig vernetzter Sichtwechsel und wachsender Kreativität bei zunehmender Urteilskraft. Im künstlerisch-kreativen Bereich kommt es zu einer kosmopolitischen friedlichen Nachbarschaft, zu einer Friedensstruktur, die dazu beiträgt, über eine wechselwirksame Anhebung des Leistungszustandes der Kultur zu einer Bereicherung der Natur und damit zu einer Stabilisierung der Weltordnung insgesamt zu kommen. Teilhabekunst präsentiert sich nicht als etwas Abgeschlossenes, Endgültiges, unverwechselbar nur einem einzigen Urheber Zuschreibbares. Sie zeigt sich vielmehr als ein gemeinsames plastisches künstlerisches Ereignis, ein Prozess, der mehr oder weniger treffend von Künstlern moderiert wird und durch den am Ende alle am Kunstbereich Beteiligten als Gleiche wechselwirksam aufeinander bezogen, miteinander verbunden, sind.
Anhang:
Auswahl von Hinweisen zu Henning Mittendorf:
Texte
- Henning Mittendorf: „Mail Art My Dream of Freedom and Love“, in: Magazin El Djarida, Trondhejm (N), 1989,
- Henning Mittendorf: “Was ist Mail-Art?” in: Hans-Jürgen Vogtherr: “Das Goldene Schiff von Uelzen” - Eine Schrift zur 725-jährigen Wiederkehr der Verleihung des Stadtrechts an Uelzen - , Becker Verlag Uelzen, 1995,
- Henning Mittendorf: “Mail Art Is Hope” in: Chuck Welch: “Eternal Network – A Mail Art Anthology”, University of Calgary Press, Calgary, Alberta, CDN, 1995,
- Henning Mittendorf: „The Artist’s Book“ in: Tartarugo: CorresponDances # 3, Vigo E 2003,
- Henning Mittendorf: „Künstlerstempel – Stempelkunst – Versuch über ein kreatives Medium“ in: Stefan Bartkowiaks „forumbookart 2004-2005,
- Henning Mittendorf: „Some Aspects of Meta-Networking“ in: http://neoscenes.net/hyper-text/text/third/hemi1.html,
- Henning Mittendorf: „About the Beauty in Art“ in: Mondo QT publication, „Peep 5“, http://www.users.cloud9.net/~drs/peepmag/peep5_henning_essay.html,
- (Henning Mittendorf: „Deutschland – Land im Umbruch“ in: http://mail-art.schroeer-bs.de/contributions/mittendorf.html.)
- Mail-Interview Ruud Janssen with Henning Mittendorf in: http://jas.faximum.com//library/tam/tam_22a.htm (Auszüge).
Erwähnungen
- Günther Ruch (CH) „Mail Art Congreß ’86“, 1987,
- Géza Perneczky (H) „A Hálo - The Magazine Network - The Trends of Alternative Art in the Light of their Periodicals 1968 - 1988“, 1991,
- Vittore Baroni (I) „Arte Postale - Guida al network della corrispondenza creativa“, 1997,
- John Held (I/USA) „L’Arte del Timbre/Rubber Stamp Art - A Century of Rubber Stamp Art - Birth and Implication of a new Art Medium“, 1999,
- Martina Cognati, Francesco Poli (I) “Dizionario dell’ arte del Novecento - Movimenti, artistic, opere, techniche e loughi”, 2001,
- Renaud Siegman (F) “Mail Art, Art postal – Art poster”, Éditions Alternatives,Paris, 2002,
- Madelyn Kim Starbuck „Clashing and Converging Effects of the Internet on the Correpondence Art Network” (Dissertation, 2003) in: http://www.lib.utexas.edu/etd/d/2003/starbuckmk032/starbuckmk032.pdf,
- Géza Perneczky “Network Atlas – Works and Publications by the People of the First Network – Volume 1: A – N A Historical Atlas for the Post-Fluxus Movements as Mail Art, Visual Poetry, Copy Art, Stamp Art & Other Relative Trends wit Addresses, Projects, Publications & Exhibition Events, Soft Geometry, Köln, 2003 in: http://memex.c3.hu/~perneczky/mail.art/Atlas/Letter_S/LAtlas_1.pdf,
- A.S. Popov Central Museum of Communications “Mailartissimo”, Katalog 2004/05
- „Willkommen im Mail-Art Museum“ in: http://www.list-of-important-artists.de/ und “Mail Artists Index” in: http://mailartists.wordpress.com/.
Сажетак
СИГНАЛИЗАМ
Однос између науке и уметности
За мене, као и за сигнализам, полазишну тачку представљају нова научна открића. Моја размишљања о односу уметности и науке могу се сагледати из следећа три аспекта:
- Питање знања које поседују људи широм света, постаје питање схватања шта је знање.
- Ново схватање знања чини људе одговорним.
- Нова наука и знање такође мењају улогу уметника.
Ствари у природи уистину нису раздвојене. Разлог за то једино може да буде тај да се о њима може говорити. Холизам је права истина, уколико је квантна теорија истинита. Филозофирање на основу новог физичког погледа на свет води ка елиминацији дуализма ума/свести и материје, они се, ни на који начин, не могу раздвојити од целине. Свет се јавља као отворена, индиферентна, мултидимензионална, комплексна самоорганизованост различитих феномена. У зависности од угла посматрања може се поделити на различита искуства тог јединства и његова под-сопства и под-системске пакете. Сви системи, укључујући и целовити систем, одређени су примарно на основу њиховог међусобног односа.
Развој западњачког друштва заснованог на знању довео је до богатог друштва, а консеквенца тога је данашње друштво ризика. Филозофирање на основу слике новог Света данас води до нове етике. Сходно датој ситуацији у свету, мора постојати виши циљ људског понашања, одговорног за стабилизовање глобалног поретка.
Концепт заједништва уметности не пориче чињеницу да је уметност јединствени облик индивидуалног изражавања. Треба истаћи да се уметничко дело не може потрошити. Оно себе не представља само као нешто коначно, само као некакав копирајт, већ као нешто што припада свима. Естетика и етика које произилазе из овог заједништва нису друштвена конвенција већ део самоорганизације светске реалности.
Сваки уметник је део бескрајне Мреже. На овај начин остварују се трајни глобални отворени дискурс и размена гледишта између креативних људи.
Датум последње измене: 2008-03-22 20:11:44