Projekat Rastko - Luzica / Project Rastko - Lusatia  

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M. Walde

Die evangelischen Sorben

Als die „schlechteste aller Nationen“ hatte Martin Luther die Sorben bezeichnet – und doch hat seine Lehre den bedeutsamsten Entwicklungssprung in der Kulturgeschichte der Sorben bewirkt: die Schaffung der sorbischen Schriftsprache. Bereits 1548 lag eine Übersetzung des Neuen Testaments vor, die jedoch nicht gedruckt wurde. 1574 erfolgte die Drucklegung von Luthers Kleinem Katechismus in Niedersorbisch.

Mit der Reformation im 16. Jahrhundert wurden mehr als 90 % der Sorben evangelisch: die gesamte Niederlausitz und die überwiegende Mehrheit der Oberlausitz.

In der Oberlausitz hatte die Konkurrenz der Konfessionen nach Reformation und Gegenreformation einen äußerst belebenden Einfluss auf die sorbische Kulturentwicklung. Im Bemühen, die Positionen der eigenen Konfession zu stärken, kam es zu einem regelrechten Wettstreit im Publizieren religiöser Literatur in sorbischer Sprache, der auf evangelischer Seite von staatlicher, auf katholischer von kirchlicher Obrigkeit finanziell unterstützt wurde.

Anders war die Situation in der vollständig evangelischen Niederlausitz, wo die Obrigkeit die Sorben zeitweise duldete, zeitweise aber massiv unterdrückte und Überlegungen anstellte, wie „die gänzliche Abschaffung der wendischen Sprache am ehesten befördert werden könne“.

Mitte des 19. Jahrhunderts wurden die Ideen der europäischen nationalen Bewegungen vornehmlich von evangelischen Geistlichen und Lehrern aufgenommen. Die sorbische Wiedergeburt, die zur Herausbildung einer bürgerlichen Kultur führte und deren Auswirkungen sich bis in die Gegenwart erstrecken, wäre ohne Protestantismus nicht denkbar gewesen.

Ein Großteil der evangelischen Geistlichkeit verstand Muttersprache und Glaube als Einheit. Die Hochschätzung des Gotteswortes beeinflusste die Gestaltung der Kirchen: Sorbische Aufschriften zieren den Kirchenraum, Altäre, Kanzeln, Taufsteine, Abendmahlsgeräte oder Paramente. Sorbische Bibelsprüche sind bis heute – gedruckt, gemalt oder gestickt – in protestantischen Häusern als Wandschmuck zu finden. Der Bedarf an religiöser Literatur war groß und bewirkte, dass Sorben ihre Muttersprache lesen und zum Teil schreiben lernten, dass religiöse Laienkreise entstanden und dass 1863 ein evangelischer sorbischer Bücherverein gegründet wurde, der bis ins 20. Jahrhundert hinein eine rege Editionstätigkeit entfaltete.

Die Führungsrolle in der sorbischen Kulturgeschichte, die die evangelischen Sorben seit der Reformation innehatten, ist aufgrund ihrer fortschreitenden Assimilierung im Laufe des 20. Jahrhunderts an die katholischen Sorben übergegangen.

Bis zum Ausgang des 19. Jahrhunderts erhielten sich in der Ober- und Niederlausitz nahezu rein sorbische Gebiete, seitdem zeigte der starke Assimilationsprozess seine Wirkung, auch durch Nichtförderung oder Unterdrückung der sorbischen Sprache in Kirche und Schule. Die evangelischen Sorben wurden zweisprachig und gingen nach ein oder zwei Generationen mehrheitlich zur deutschen Einsprachigkeit über.

In der DDR-Zeit verfielen wesentliche Traditionen der evangelischen Sorben dem Verdikt des Reaktionären. Nur der Domowina-Verlag stand für die wenigen Editionsvorhaben der evangelischen Sorben offen (Gesangbuch 1955, Monatszeitschrift „Pomhaj Bóh“). Die Distanz zwischen den Vertretern der evangelischen Sorben und den Vertretern des sorbischen Kulturlebens konnte nach der Wende zum Teil abgebaut werden.

Die evangelischen Sorben gehören seit dem Jahr 1815 drei Landes- bzw. Provinzialkirchen an: in der Oberlausitz der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens und der Evangelischen Kirche der schlesischen Oberlausitz und in der Niederlausitz der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg. Jede dieser Kirchen hat in der Vergangenheit eine eigene Sorbenpolitik betrieben, so dass die Situation der evangelischen Sorben heute unterschiedlich ist.

Am günstigsten ist die Stellung in der sächsischen Landeskirche, welche den evangelischen Sorben mit der Verabschiedung eines sorbischen Kirchengesetzes und der Errichtung der Sorbischen Superintendentur (1949) eine Teilautonomie in organisatorischen und geistlichen Fragen gewährte. Heute versorgt ein sorbischsprachiger Geistlicher etwa zehn Pfarrgemeinden mit sorbischen Gottesdiensten und anderen Gemeindeveranstaltungen. Von ihm pastoral mitversorgt werden sorbische Gläubige der Evangelischen Kirche der schlesischen Oberlausitz. Monatlich wird die sorbische Kirchenzeitschrift „Pomhaj Bóh“ (gegründet 1891) herausgegeben. Jährlich findet ein sorbischer Kirchentag statt. Sorbische Predigten im Rundfunk gibt es seit 1988; evangelische Gemeindeglieder gestalten das „Wort zum Tag“ in den morgendlichen sorbischen Rundfunksendungen an den Wochentagen mit. Die Arbeit wird vom Sorbischen Superintendenten betreut. Dafür verwendet er laut Kirchenleitungsbeschluss seit 1994 die Hälfte seiner Dienstzeit. Ein Sorbischer evangelischer Verein, der die vorhandenen Aktivitäten bündelt oder neue initiiert, ist 1994 gegründet worden.

In Weiterführung alter preußischer Traditionen verfolgte die brandenburgische Kirche auch nach 1945 eine Politik der ausschließlich deutschsprachigen Gemeindearbeit. Ein Neubeginn erfolgte 1987 mit der Gründung der Arbeitsgruppe „Serbska namša“ (Sorbischer Gottesdienst), die seitdem mehrmals jährlich sorbische Gottesdienste in der Niederlausitz organisiert. Durch die Einbeziehung des Cottbuser Generalsuperintendenten erfuhr diese Arbeit eine kirchliche Legitimierung. Die Arbeitsgruppe konnte neben einem Emeritus auch einige sorbischsprachige Pfarrer für die Predigttätigkeit bei Gottesdiensten und im Rundfunk gewinnen. Um den verschiedenen Bemühungen um eine sorbische Pastoral in der Niederlausitz noch mehr Nachdruck zu verleihen, ist 1994 ein kirchlicher Förderverein ins Leben gerufen worden. Dieser bemühte sich vor allem, ein für die Sorben in der Niederlausitz lange ungeklärtes Problem zu mildern. So wurde 1994 ein sorbischer Geistlicher von diesem Verein bestimmt, sorbische pastorale Aufgaben in der Niederlausitz zu übernehmen. Mit seiner Verabschiedung in den Ruhestand wurde im Jahre 2002 ein sorbischer Pfarrer vom Konsistorium der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg damit beauftragt, sich ein Viertel seiner Dienstzeit sorbischen kirchlichen Angelegenheit zu widmen.

 


 

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